Sunday, November 1, 2020

Kirche und Staat in Polen, Volksrepublik Polen: die grundlegende Idee von Edward Gierek (Juni 1971)


Die Oberseite der Fassade der Kathedralen Basilika von St. Johannes in Warschau mit einem Adler, einem Kreuz und dem Zeichen der Unbesiegbaren Sonne (Sol invictus). Polen ist die römisch-katholische Kirche und Rom ist Polen!


(Bazylika archikatedralna św. Jana Chrzciciela przy ul. Świętojańskiej w Warszawie, Bild von Adrian Grycuk, CC B-Y 3.0 – Wikimedia)





10. Juni 1971. Zum ersten Mal seit vielen Jahren erlaubte der Staat der Römischen Kirche, am Tag des katholischen Fronleichnamsfestes Priester und Gläubige durch die Straßen der Städte zu marschieren.




Die Prozessionen mussten jedoch aufgrund der ihnen zugewiesenen kurzen Wege stark eingeschränkt werden. Deswegen konnten sie nicht sehr großzügig, sondern bescheiden geplant werden.


So begann beispielsweise in der polnischen Hauptstadt die Prozession mit einer Messe in der Johanneskathedrale. Die Katholiken marschierten von dieser Kathedrale bis zum Platz vor dem Königlichen Schloss. Die einzige Hauptstraße auf der Strecke des Aufzuges war Krakowskie Przedmieście (Krakauer Vorstadt). Auf diese Weise verließ die gesamte Prozession nicht die Altstadt mit seinen Gebäuden aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert.


Dabei war damals allen klar, dass es weder die Altstadt noch Warschau geben würde, wenn nicht das polnische Volk, die unter Vollbeschäftigung, zuverlässiger und dauerhafter Versorgung mit Rohstoffen usw. usw. arbeitete, die Hauptstadt wieder aufgebaut hätte. All dies wurde durch das sozialistische System und den Bündnis mit der Sowjetunion sichergestellt.



Fronleichnamsprozessionen in anderen großen Städten des Landes verliefen auf die gleiche Weise


Seit dem Zeitpunkt als der Reichskanzler Otto von Bismarck den Kulturkampf gegen die Katholiken im ganzen Deutschen Reich geführt hat galt die Römische Kirche in Polen, nicht nur bei den rechtskonservativen Kreisen, sondern auch bei dem Volk, als die Stütze des Polentums. Auch als die Quelle aus welcher das polnische Volk seine Sitten und Kultur schöpft. Ihre Rolle wurde aber, im Grunde genommen, von der regierenden PVAP (Polnischen Vereinigten Arbeiter-Partei) ganz anders bewertet. Nämlich, es wurde seitens der Regierung fast hundertprozentig offen zu verstehen gegeben, diese Kirche stehe symbolisch für die Unterentwicklung Polens sowie für die Unaufgeklärkeit des gemeinen Volkes. Daraus sei der Schluß zu ziehen, dass wenn sogar nicht alle, da jedenfalls viele katholische Priester Rückschrittler sind.


Es stehe ihnen also frei ihre Paraden mitten den Gebäuden aus alten Zeiten zu organisieren, aber nicht in den modernen Gebäudevierteln, die von der Volksrepublik Polen aufgebaut wurden. Viertel, die größtenteils von ehemaligen Dorfbewohnern bewohnt wurden, die sich entschieden in der Stadt zu leben auch um vom Pfarrer des Dorfes nicht mehr genau beobachtet und in Predigten beurteilt zu werden.


Der Oberhaupt der Kirche Wyszynski, der oft die Haltung des ungekrönten Königs von Polen einnahm, und Kardinal Karol Wojtyla führten persönlich solche verkürzten Prozessionen in der heutigen und ehemaligen Hauptstadt des Landes an. Auf diese Weise drückten sie deutlich ihre Unterstützung für die neue Staats- und Parteiführung und Giereks Entscheidung, den Konfrontationskurs gegenüber die Kirche erheblich zu lindern, aus.



Gomulka erlaubte diese Aufmärsche viele Jahre lang nicht


Er begründete dies damit, dass er den Verkehr auf den Straßen landesweit unterbrechen müsste, das an diesen Donnerstagen normal funktionierte und man eine freie Fahrt für Menschen brauchte, die sich nach Arbeitsplätze begeben mussten und von dort nach Hause zurückkehrten. Gierek nahm eine ähnliche Haltung ein, erlaubte nicht den Durchmarsch entlang der Hauptstraßen und erlaubte auf diese Art und Weise keine ernsthaften Schwierigkeiten im öffentlichen und privaten Verkehr sowie im Transport von landwirtschaftlichen und industriellen Gütern.



Die Bedeutung dieser Tatsachen war ebenfalls vollkommen klar


Die neuen und in jeder Hinsicht toleranteren Anführer des ohnehin recht toleranten kommunistischen Regimes in Warschau gaben zu, dass die größte religiöse Vereinigung des Landes das Recht hat, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Diese habe jedoch kein Recht, die wichtigste Rolle dabei zu spielen, geschweige denn zu versuchen, ihre Feiertage und Ansichten der Gesellschaft als Ganzes aufzuzwingen. Wie sich herausstellte, stimmte Stefan Wyszynski einer solchen Situation nur für die nächsten drei Jahre zu.




Polnischer Fiat 125p, ein Symbol für die 1970er Jahre in Deutschlands Ostnachbarnland, vor dem Hintergrund des Wohnungsbaus aus der Gierek-Ära gesehen. Die damals errichteten Hochhaussiedlungen waren höher und mehr augenfällig als die Kathedralen. Die Kirche lebt in der Kirche und Polen in ganz Polen!

(das Bild des Verfassers)





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