Friday, July 6, 2018

Wieso man in Polen keine genaue volkswirtschaftliche Bilanz für Entschädigungsfragen usw. heranschaffen kann?



Das prächtige Bürohaus ensteht auf einem Grundstück, dessen Geschichte vielleicht nicht ganz klar ist. Noch ein paar Jahre früher stand hier eine Mietskaserne aus dem Jahr 1924. (Ogrodowa Office, Lodsch, Polen: Mein eigenes Bild)


Ab und zu kann die Hakenkreuzler-Presse als eine irgendwie glaubwürdige Urkunde seiner Zeit benutzt werden. Dazu ist selbstverständlicherweise die Quellenkritik benötigt. Die in dem Zeitraum 1940-45 auf deutscher Sprache in Łódź (deutsches Name: Lodz, Lodsch) erscheinender Besatzer-Tageblatt „Litzmannstaedter Zeitung” war hauptsächlich für Polendeutschen bestimmt. Neben einer genzen Menge an geradezu grauenvoller Nazi-Propaganda enthielt er auch eine Anzahl von Beiträgen zu wirtschaftlichen Themen, die natürlich auf Tatsachen basieren mussten.




Weil ich die NS-Presse nicht ohne weiteres anzuführen möchte, zuerst ein paar Worte Kommentar


Im Königreich Preußen trat die Grundbuchordnung 1872 in Kraft, und auf dem ehemaligen Hoheitsgebiet des Polnisch-Litauischen Reiches hatten zu dieser Zeit die Teilungsmächte zu bestimmen. In Russisch-Polen wurden nur sehr wenige Grundbücher angelegt – die Bürokratie des Zarenreiches war wohl, bis auf die ottomanische, die unfähigste in Europa. Es ist keine frei erfundene Propaganda, sondern der historische Tatsachenbestand, dass die Rolle des Grundbuches als eines öffentliches Registers, in welchem die Grundstücke, die hiesigen Eigentumsverhältnisse und die damit verbundenen finanziellen Belastungen verzeichnet sind, in der Zweiten Republik Polen vollständig unterschätzt wurde. Nach diesem unbedingt nötigen Vorwort nun ein paar wichtige Sätze aus der kritisch zu beurteilenden Quelle:


Mitte November wurden dann auch das Deutsche Land- und Amtsgericht sowie die Staatsanwaltschaft in Litzmannstadt eingerichtet. Nachdem diese Justizbehörden zunächst kurze Zeit in den völlig unzulänglichen Räumen des früheren Stadtgerichts in der Trommlerstraße 18 untergebracht waren, siedelten sie später in das Gebäude des früheren polnischen Bezirksgerichts am Hindenburgplatz über.


Daß das polnische Liegenschaftsrecht, das in dem hiesigen Bezirk galt, von dem deutschen grundlegend abweicht – es bestand hier kein Grundbuch, sondern nur ein nach ganz anderen Gesichtspunkten angelegtes Hypothekenbuch, das keineswegs alle Grundstücke erfaßte –, muß jetzt erst ein Grundbuch nach deutschem Recht neu angelegt werden, eine Aufgabe, die um so schwieriger ist, als die katastermäßigen Unterlagen hierfür fehlen. Die außerordentliche Bedeutung dieser Arbeit für die ganze Neugestaltung des Raumes in dem hiesigen Gebiet liegt auf der Hand.



Die deutschen Treuhänder haben in der NS-Zeit fast gesamten polnischen und jüdischen Besitz übernommen und für sich selbst sowie das Dritte Reich skrupellos ausgenutzt („Litzmannstaedter Zeitung“, 24. Dez. 1940, S. 30). Die Einzelheiten bleiben bis heute weitgehend unklar. (public domain)


Um den laufenden Bedürfnissen des Grundstückverkehrs gerecht zu werden, ist es notwendig, die Anlegung des deutschen Grundbuchs von Fall zu Fall in der Weise vorzunehmen, daß sie jeweils bei den Grundstücken erfolgt, zu denen Grundbucheintragungen beantragt werden. Die Grundbuchanlegung wird im übrigen von den einzelnen Amtsgerichten für ihren Bezirk durchgeführt.“


(Rechtspflege in Litzmannstadt. Kurzer Überblick über den Aufbau der deutschen Rechtspflege im hiesigen Bezirk, „Litzmannstaedter Zeitung“, 26. Juni 1940, S. 5)




Die Grundbücher-Eintragungen aus der NS-Zeit waren selbstverständlich nur insofern verlässlich, wie sie sein mussten

 
Mehr als vier Jahre lang wurden insbesondere die Zeugnisse des jüdischen (im Begriff der Nürnberger Gesetze) Besitzstandes penibel ausradiert. Die ehemaligen polnischen Besitzer wurden vor diesem Hintergrund ein bisschen priviligiert. Nach der Beschlagnahmung ihres Vermögens bekamen sie dafür in der Regel eine entsprechende, genaue Urkunde und… keinen lumpigen Pfennig Entschädigung.




Die Fortsetzung folgte…

 
Die Grund- und Gebäudebücher wurden in der Volksrepublik Polen übernommen und seit 1947, aber mehr tatkräftig seit 1964, fortgeführt. Die Staats- und Parteiführung wünschte sich angesichts der immer größer angelegten Industrie- und Wohnungsbau-Investitionen in diesem Bereich etwas Klarheit zu schaffen. Auch mit Hinsicht auf die mit Vereingten Staaten von Amerika vereinbarten Entschädigungen an US-amerikanische Bürger (mehr darüber bei dem nächsten Aufsatz aus dieser Reihe).




Nach der Wende wurde das Werk (seit 1991) im beschleunigten Tempo fortgesetzt
 
Zu dieser Zeit ergab sich für die Betroffenen der Banditenpolitik zwei totalitärer Regime seit 1939 erstmalig die Möglichkeit, ihre vermögensrechtlichen Ansprüche auf dem Gebiet der Republik Polen verfolgen zu können. Der Antragsprinzip wurde damals als ein der Eintragungsprinzipien erlaubt. 
 

Weitere Mietskasernen in Lodscher Innenstadt, abbruchreif: Wer waren einst ihre Besitzer? Man macht gute Geschäfte und niemand soll mehr wissen als gut ist. (Mein eigenes Bild)


In der Zeit von 1995 bis 2010 wurde ein Großteil der polnischen Grundbuchämter auf elektronische Grundbuchführung umgestellt. Noch nicht alle Papiergrundbücher wurden dabei in digitalisierte Form überführt.

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