Saturday, October 13, 2018

So lebte man im Zarenreich: Mit zwei auffälligen Beispielen




Das interessanteste Porträt von Nikolaus II. Romanow – der Zar denkt in seinem Büro, bedrückt von der Last der Macht. (Walen-tin Serow, pub-lic domain - öffentlicher Zu-gang). Daneben steht eine anonymes Bildnis einer Frau, die durch harte Arbeit zerstört wurde, weil sie das Geld für andere Leute die Wäsche machend verdient hat, um ihre Kinder zu ernähren. ("Neue Lodzer Zeitung", öffentlicher Zugang). Dieser Zar wusste, was es bedeutet, den schreck-lichen Unglück ausharren zu müssen. Er trug die schwere Last der unheilbaren Krankheit seines einzigen Sohnes, dem er nicht verkraften konnte zu sagen, er müsse jung sterben. Für das gemeine Volk war er ein liebes Herz, und mit Kummer ließ er manchmal auf dieses Volk, als es durch die Terroristen aufgehetzt wurde, schießen, weil erahnte, dass der Sturz des Thrones keine Tausende, sondern viele Millionen Opfern mit sich bringen würde.



Die Beamten des Zars gegen die Lebensmittelteuerung

Die Mißernte im Zarenreich im Sommer und Herbst 1911 hat die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben. Dies wurde durch die Spekulanten ausgenutzt, um durch Verknappung des Angebots große Gewinne zu machen. Diese Lage wurde durch die Behörden bemerkt und sie haben verschiedene Massnahmen vorgenommen, um die Hungersnot zu verhindern.


In Russisch-Polen war die Ernte besser, so wurde die Entscheidung getroffen die Versorgung der wichtigen Industriestadt Lodsch (Polnisch: Łódź, Textilindustrie) zu sichern, indem auf alternative Angebote ausgewichen wurde. Durch Erlaubnis zum Handel im größeren Umfang fûr die Landwirte, von denen viele kein Problem hatten mit seiner Fuhre (dem Pferdewagen) nach die Großstadt zu kommen, wurde die Vermittlerkette ausgeschaltet. Dazu wurde auch die aus der Teuerung der landwirtschaftlichen Produkte folgende Wirtschaftskrise (die breiten Bevölkerungsgruppen haben kein Geld für die Baumwollwaren gehabt) im Petrykauer Gouvernement irgendwie gelindert. Der milde Winter von damals hat die ganze Aktion begünstigt.



So wurde dies in der Presse der Polendeutschen geschildert

Die gegenwärtig herrschende Teuerung der landwirtschaftlichen Produkte wird von der armen Bevölkerung der Stadt Lodz schwer empfunden. Zweifellos ist der Grund dieser traurigen Erscheinung in der ungenügenden Zahl der vorhandenen Märkte, auf denen die Landwirte ihre Produkte verkaufen können, zu suchen. Demzufolge ist auch die Zufuhr landwirtschaftlicher Produkte infolge Raummangels auf den Marktplätzen recht gering.


Das Lodzer Komitee zur Bekämpfung der Lebensmittel-Teuerung hat sich an die zuständigen Behörden mit der Bitte gewandt, die Zahl der Markttage zu vergrößern und darum nachgesucht, den Bauern zu gestatten, den Verkauf von landwirtschaftlichen Produkten nicht nur auf den Märkten, sondern auch in den Straßen der Staat zu bewerkstelligen. Dieses Gesuch wurde von den Behörden günstig aufgenommen; es wurde gestattet, bis zum 1. (14.) April 1912 in der Stadt Lodz 4 Handelstage wöchentlich einführen, und zwar: Dienstags, Mittwochs, Freitags und Sonnabends.


Den Landleuten ist somit gestattet worden, an den obenbezeichneten Tagen den Verkauf ihrer Lebensmittel-Produkte auf allen Märkten in den Stunden, die für den Markthandel festgesetzt sind, zu vollziehen. Desgleichen auch bis 10 Uhr früh an allen übrigen Wochentagen auf allen Straßen der Stadt, mit Ausnahme von Petrikauerstraße [ul. Piotrkowska; die Hauptstraße der Stadt] und der Straßen mit Tramway-Verkehr [Straßenbahnverker], von dem Wagen herab zu handeln. [...]


Das Komitee bittet alle Bürger und Einwohner, die Landleute, die mit ihren Fuhren vor den Häusern stehen bleiben, nicht fortzutreiben, sondern im Gegenteil — den Hauswächtern eine entsprechende Instruktion zu geben und ihnen zu befehlen, daß, nachdem die Landleute ihre Standorte verlassen haben, die Straßen in gehöriger Weise gereinigt werden, um den Behörden,die sich so wohlwollend zu dem Gesuch des Komitee verhalten haben, keinen Anlaß zu Prätensionen [zum Groll] zu geben.“
An die Einwohner der Stadt Lodz: Das Komitee zur Bekämpfung der Teuerung in der Stadt Lodz, Präses F. Meyerhoff, „Neue Lodzer Zeitung“, 6. Januar 1912, Morgenausgabe, S. 13






Die Aussicht aus der Petrikauer-Straße auf den Neuen Ring (heute: Plac Wolności – der Freiheitsplatz, damals ein der Wochenmärkte), die Nowomiejska-Straße (die Neustadt-Straße) und den riesenhaften Dorf Baluty. Die evangelisch-lutherische Gemeinde zu Sankt Trinitatis (heute: die römisch-katholische Kirche des Heiligen Geistes) auf dem zweiten Plan. Das Photo von Bronisław Wilkoszewski, 1897 aufgenommen. Auf dem ersten Plan sehen wir ein Fuhrwerk eines polnischen Bauers, der für die meistens deutsche, doch bereits damals eindeutig polenfreundlich gesinnte Einwohner der Hauptstfraße die Lebensmittel soeben eingeliefert hat. Ein Video-Material auf tadelloser deutschen Sprache;
 


Der russische Kaiser und König von Polen agierte wie ein Vater seiner Untertanen, und die Beamten benahmen sich meistens wie ihre ältere Brüder

Deratige Lage im wichtigen Industriezentrum von Lodsch war nur ein der vielen ähnlichen Beispielen. Der letzte Zar und seine Gouverneure, auch Minister, waren keinerlei die Männer, die den dringend notwendigen Reformen im Wege standen. Sie wollten aber nur langsame, umsichtige Reformen durchführen, doch ihr letztes Ziel war sehr edel; sie wollten dass die Politik gereinigt würde; dass die Moral der Volksgemeinschaft auf eine höhere Ebene erhebt wird; dass es in der Geschäftswelt weniger gemeine Tricks geben wird, weniger Ausbeutung in der Gesellschaft besteht. Sie waren nicht dermaßen progressiv wie z. B. die US-Präsidenten jener Zeit waren, weil sie ganz einfach wussten, dass zu viel Fortschritt mehr Parasiten beherbergt als die zaristische Bürokratie. Übrigens, in einigen Bereichen hatta das Zarenreich die Vereinigten Staaten von Amerika weitgehend übertroffen. Darüber soll ich noch, mit ein paar grundlegenden statistischen Angaben, dies und jenes schreiben.


Die Eröffnung neuer Ackerflächen durch Siedler, die die Nahrungsmittelversorgung des russischen Reiches erhöhen würden, war eines der wichtigsten Tätigkeitsbereiche der Zaren und ihrer zivilen, manchmal auch militärischen Beamten, die sehr oft in beispielhafter Zucht und Sitte arbeiten konnten. Sie schützten die russische, baltische und polnische Industrie mit hohen Zöllen und minimalen Handelsbeschränkungen im Binnenmarkt. Es war ihr Hauptziel, Russland von einem europäischen Rückstau in einen wirtschaftlich starken und politisch reformierten Staat zu verwandeln, und sie fanden offensichtlich die richtigen Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.


Bei vielen wichtigen Mitgliedern der sogenannten höheren, großzügigen angelsächsischen Rasse war aber eher der Gegenteil der Fall. Der amerikanische Ökonom Henry Walton Farnam kritisierte diesen Geisteszustand. "Wohlhabende Familien enthalten oft parasitäre Mitglieder, die von der Gesellschaft ein hohes Einkommen beziehen, ohne im Gegenzug sich an Errungenschaften der Volkswirtschaft zu betiligen oder öffentlichen Dienst zu leisten."
Economist Scores Idle Rich, 2. Jan. 1912, “The Spokesman-Review, S. 7



Bemerkenswerte Lage der Landwirte in der Umgebung des Lodscher Industriegebiets

Lodsch und die anderen, in der Umgebung der Großstadt gelegene Industriestädte, waren ein besonderer Landesteil, der durch den Einfluß der östereichisch-deutschen Hochkultur verwandelt wurde. Glücklicherweise es wurde ein sehr interessanter Doku-Film aus dem Jahr 1912 bis zu unserer Zeit aufbewahrt. Wir sehen wie die Lodzermenschen (so nannten sich die Lodsch-Einwohner mit Stolz, weil sie überall als besonders einfallsreich, witzig und erfolgreich galten) ihre Möglichkeiten voll entfalten konnten. Wir können dort u. a. die Familie des verstorbenen Lodscher Großindustriellen Julius Heinzels, Freiherr von Hohenfels, eines Lebensreformers, sehen.Die einzigen bekannten Bildfenster der Industrie- und Handwerkaustellung, aus dem Juni 1912.

In Allgemeinen aber war die Pflanzeproduktion auch auf dem keinerlei besten Boden der Lodscher Landumgebung mehr als wirtschaftlich, und der Hauptgrund dafür waren die etwa ein hundert Tausend Arbeiter, die sehr zahlreiche Familien hatten. Infolge der nur langsam wachsenden Löhne von damals waren sie gezwungen viel Gemüse und Früchte zu essen, und nur selten konnten sie sich etwas Fleisch leisten. Nur ein, doch ein krasses Beispiel dafür.



Im Zarenreich bereicherte sich das Volk

Das Vergrabene Geld. In dem Dorf Modrew (Modrzew), der Gemeinde Lagow (Łagiewniki), in der Umgebung Lodsch, bewirtschaften über ein Dutzend Morgen [etwa 6 Hektare], die Eheleute Mateusz und Józefa Kowalski. Aufgrund der Nähe von Lodsch und Sgesch (Zgierz) erzielt das Ehepaar K. erhebliche Gewinne aus dem Grundbesitz. Trotzdem zeugten ihr Tisch und ihre Kleidung eher von Armut als Überfluss. Vor ein paar Wochen wurde Kowalska schwer krank, so dass sie bettlägerig wurde. Obwohl Kowalski tief beeindruckt von der Lage seiner Frau war, konnte er sich nicht pausenlos vor ihrem Bett befinden. Doch zahlreiche Frauen: Nachbarn und Verwandten verbrachten dauernd ihre Zeit bei ihr.


Eines Tages erzählte Kowalska, unglücklicherweise (wegen hohem Fieber halb bewusstlos), dieser Gesellschaft, wo sie das Geld versteckt habe. Ihr Mann wusste nichts über die Geständnisse dieser Frauen, sowie über die Lagerung des Geldes. Ein paar Tage später – dies geschah in der Woche vor Weihnachten – gewann Kowalska etwas an Stärke und eilte sofort, um zu überprüfen ob das Geld in den Speicherungen immer noch gibt. Jedoch überall: in einer Zelle, unter einer Scheune, in einem Garten, unter Bäumen usw. fand sie nur leere Gruben. Kurz danach gab ihr eine der Verwandten 600 Rubel zurück, die sie „ganz zufällig“ in einer Zelle gefunden haben sollte. Der Rest war verloren.


Wieviel Kowalska das ganze Geld hatte, wusste sie nicht, weil sie nicht zählen kann. Nach Angaben der Nachbarn belief sich die Summe der Ersparnisse der Ehefrau K., nur im Garten verborgene zählend. auf mehrere Tausend Rubel. Wie sie selbst sagte, gab es außer Papieren [den Geldscheinen] auch 50 Goldstücke.“
Rozwój” (der in den Jahren 1897-1930 in Lodsch erscheinendes Tagesblatt), 2. Januar 1912, S. 2


Ein paar Goldmünzen, die unselige Kowalska in ihrem Garten vergraben konnte.



Die russische Herrschaft in Russisch-Polen war keineswegs so lästig wie sie heutzutage am Weichsel geschildert wird


Zusammenfassend darf man feststellen, dass die Zeit des Regierens der autokratischen Kaiser von Russland in Polen war für die polnischen Patrioten eine schwarze Nacht gewesen. Allerdings wurde sie durch soviel günstige Faktoren erhellt, dass sie (bei Verbrauch des Verstandes) nicht ausgenutzt werden soll, um zwischen den zwei fähigsten, zugleich fremdemfreundichsten slawischen Völkern zum Haß zu schüren.




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